Walter Stoeckel, 1871 im Jahr der Reichsgründung geboren, 1961 im Jahr des Baus der Berliner Mauer verstorben, avancierte während der Weimarer Republik zum führenden deutschen Gynäkologen. Mit der Berufung an die Berliner Universitäts-Frauenklinik sah er sich 1926 auf dem Gipfel seiner Laufbahn angekommen: »Ich war Kaiser geworden«, so sein eigener Kommentar. Er leitete diese Klinik bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1950, konnte seine Karriere also in der Zeit des Nationalsozialismus und danach bruchlos fortsetzen.
Obwohl Stoeckel kein glühender Nationalsozialist war, hat er die bevölkerungspolitischen Ziele des NS-Regimes ausdrücklich begrüßt und 1933 aktiv die Gleichschaltung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe betrieben. Gegen die Verfolgung und Vertreibung von Mitarbeitern der Berliner Universitäts-Frauenklinik ist Stoeckel öffentlich nicht aufgetreten. Er soll sich jedoch dafür eingesetzt haben, dass der jüdische Wissenschaftler Robert Meyer, ein Spezialisten auf dem Gebiet der gynäkologischen Histologie, an der Klinik bleiben konnte, bis er 1939 in die USA emigrierte.
Seinen Namen in der wissenschaftlichen Welt machte sich Walter Stoeckel vor seiner Berufung nach Berlin als Begründer der gynäkologischen Urologie. Später wendete er sich der Erforschung des Gebärmutterkrebses zu. Durch die Entwicklung neuer diagnostischer und operativer Methoden verschaffte er sich internationale Anerkennung auf beiden Gebieten.
Während Stoeckels langjähriger Amtszeit gehörte die Universitäts-Frauenklinik an der heutigen Tucholskystraße weder räumlich noch institutionell zur Charité. Vielmehr hatte die Charité eine eigene Frauenklinik, deren Vorgeschichte als Versorgungseinrichtung für unbemittelte Frauen bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückreicht. Die Ende des 19. Jahrhunderts eingerichtete Universitätsklinik besaß hingegen als Ort der Lehre und Forschung ursprünglich das größere wissenschaftliche Renommee. In der DDR-Zeit wurden die beiden Häuser schließlich zusammengelegt. Seit 1952 gab es mit Stoeckels Nachfolger Kraatz einen gemeinsamen Direktor. In den 1970er Jahren fand die Fusionierung mit dem Umzug in den Charité-Neubau ihren endgültigen Abschluss.