Von den ehemals etwa zwanzig Denkmälern bedeutender Mediziner sind fast die Hälfte verloren gegangen, einige – zumeist Büsten von Ärzten jüdischen Glaubens – sind in der NS-Zeit entfernt und höchstwahrscheinlich zerstört worden. Die Geschichte hat Lücken gerissen, die unwillkürlich in der Repräsentation durch die noch erhaltenen Büsten fortgeschrieben werden. Hier setzt das »Inventar« des in Berlin lebenden Künstlers Thorsten Goldberg an. In dieser Online-Präsentation wird die Geschichte aller dieser Denkmäler erzählt. Den baumbestandenen Vorplatz vor der Klinik für Innere Medizin gestaltet Goldberg zu einem Platz, auf dem an jene Mediziner erinnert wird, deren Denkmäler heute nicht mehr aufgestellt sind. Doch er modelliert kein historisierendes Bild dieser in der Geschichte verloren gegangenen Personen, sondern gedenkt ihrer durch schlichte Namensnennung.
Den 24 Platanen ist ein langer Edelstahlstab mit einem massiven Edelstahlring als Stütze zur Seite gestellt. Acht dieser Bäume ist zusätzlich jeweils der Name eines Mediziners zugeordnet, dessen heute nicht mehr existierendes Denkmal einst auf dem Gelände der Charité stand. In vertikaler Ausrichtung und durch den Stahlring mit der Baumstütze verbunden, sind dort in alten Versalien (verwendet wurde die Schrifttype Venus, Leipzig 1907) folgende Namen zu lesen: Eduard Henoch, Friedrich Kraus, Otto Lubarsch, Gustav Mehlhausen, Johannes Orth, Bernhard Spinola, Ludwig Traube und Carl Westphal.
Nicht alle Bäume des Platzes erfahren diese Aufwertung durch den Namen eines berühmten Mediziners. Goldberg versteht sein »Inventar« als Bestandsaufnahme einschließlich aller Schulden und Ausstände. Die von der Geschichte gerissenen Fehlstellen sind nur erkennbar, wenn sie markiert werden und wenn an anderer Stelle ein notwendigerweise offener Verweis auf das ehemals vollständigere Bild gesetzt wird. So geht mit der Installation des »Inventars« die Aufstellung von abstrakten Büsten ohne Gesichtszüge einher. Diese sind Platzhalter für nicht bilanzierte Vermögensgegenstände. Sie machen nun aufgrund ihres plastischen Volumens die Verluste der Vergangenheit offenbar. Die räumliche Verteilung dieser Denkmäler auf dem Charitégelände wird in der räumlichen Anordnung der Schriftzüge auf dem Vorplatz wieder aufgegriffen. Der Platz wird zum Modell für das gesamte Klinikum.
Das »Inventar« versteht sich weniger als Vervollständigung, denn als ein Hinweis auf die Lücken der Geschichte. Komplett war das Bild von der Geschichte der Klinik nie, die Aufstellung der Denkmäler auf dem Charitégelände unterlag immer unterschiedlichsten Einflüssen und Interessen. Auf diese – eigentlich prinzipielle – Lückenhaftigkeit unseres Bildes von Geschichte hinzuweisen und die vergessenen Personen zugleich zu würdigen, ist Absicht dieser künstlerischen Arbeit. Sie schafft damit gedanklichen Freiraum, weiterer – vielleicht auch nur in der sehr individuellen Erinnerung – wichtiger Persönlichkeiten zu gedenken. Besteht die Geschichte, bestehen die Geschichten der Charité doch aus mehr als den überlieferten, weil offiziell und aufwändig geehrten Helden.
Das Kunstwerk musste wegen Sanierungsbedarfs abgebaut werden und ist eingelagert.